Arbeit für die Tonne – was ein Zunftzeichen im Lüneburger Museum mit dem Brunnen auf dem Reichenbachplatz zu tun hat
Museum – drinnen & draußen, Teil 3
Das Salz war über Jahrhunderte das wichtigste Handelsgut der Stadt Lüneburg. Transportiert und gehandelt wurde es in besonderen Fässern: den Lüneburger Salztonnen. Material und Form dieser Tonnen waren bereits im 14. Jahrhundert genau festgelegt. Das Fass sollte aus Buchenholzdauben bestehen, 2 ½ Fuß hoch sein und besonders bauchig ausfallen, so dass jede Tonne mit genau 6 Scheffeln Lüneburger Salz befüllt werden konnte. Diese Normierung war wichtig, denn die wiedererkennbare Verpackungseinheit sollte für die Qualität des Inhalts garantieren. Bis ins 19. Jahrhundert hinein blieb die bauchige Tonne das Markenzeichen des Lüneburger Salzes.
Für die Herstellung war in Lüneburg das Amt der Salztonnenböttcher zuständig. Wie überall im Alten Reich war das Handwerk im mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Lüneburg zunftmäßig organisiert. Als Handwerker arbeiten durfte nur derjenige, der in die Zunft aufgenommen war und sich streng an die dort geltenden Regeln hielt. Mit dem Zunftleben waren bestimmte Rituale und auch Gegenstände verbunden. Dazu zählen zum Beispiel die Regimentsstäbe aus Holz. Sie waren Amts- und Würdezeichen der Zunftmeister, die in den Versammlungen den Vorsitz führten. Durch das Aufschlagen des zepterartigen Stabs konnte die Gesellschaft auch schon mal unmissverständlich zur Ordnung gerufen werden!
Das im Museum erhaltene Regimentsholz der Salztonnenböttcher zeigt Spuren langjährigen Gebrauchs. Die ursprüngliche rot-grüne Bemalung ist weitgehend abgeblättert. Auffällig sind die beiden bauchigen Fässer oberhalb des Griffs und an der Spitze des Stabes, die als Zunftzeichen die typischen Lüneburger Tonnen darstellen. Auf dem Boden der oberen Tonne befindet sich, kaum noch lesbar, eine Datierung „anno 1757“.
Im Zeitalter der Industrialisierung wurde der Zunftzwang gelockert und das freie Unternehmertum gefördert. In Lüneburg wurden nun neben dem Salz auch weitere lokale Rohstoffe wie Gips und Kalk industriell ausgebeutet und als Handelsgüter massenhaft in Umlauf gebracht. Besonders erfolgreich waren in Lüneburg die Gebrüder Heyn, die seit 1860 vor dem Bardowicker Tore eine Fabrik für Portland-Zement aufbauten.
Für den Handel mit Zement brauchte es ebenfalls große Mengen an Fässern, in denen der Baustoff damals üblicherweise abgefüllt wurde. Handwerksmeister der Familie Reichenbach, die seit etwa 1630 als Böttcher in Lüneburg tätig waren, erkannten die darin liegenden Marktchancen als erste. Ludolf Reichenbach schloss 1837 erste Verträge zur Belieferung des städtischen Kalkbruchs mit Tonnen ab. Sein Sohn Johannes ging in den 1860er Jahren noch einen Schritt weiter und begann auf dem Gelände des ehemaligen Scharnebecker Hofs bei St. Nicolai mit der fabrikmäßigen Produktion von Fässern. Durch den Bedarf der Lüneburger Unternehmer, allen voran der Portland-Zementabrik, wurde die Reichenbachsche Fassfabrik selbst eines der größten Unternehmen der Stadt mit mehr als 200 Arbeitern am Ende des 19. Jahrhunderts.
Schicksalsschläge blieben dem Unternehmer Reichenbach nicht erspart. 1889 kam es auf dem Fabrikgelände inmitten der dichten Stadtbebauung zu einem verheerenden Brandunglück. Es fehlte nicht viel und die Flammen wären auf die Nicolaikirche übergeschlagen. Die Fassfabrik wurde im Anschluss an einem sicheren Standort auf der Breiten Wiese nahe der Ilmenau neu aufgebaut. Die Fassfabrik existierte bis in die 1940er Jahre. Später übernahm die Keula-Hütte als Eisengießerei den Standort. Heute befinden sich dort die Gewerbeflächen des Ilmenau-Centers.
Johannes Reichenbach (1836–1921) wurde als Unternehmer und Persönlichkeit geschätzt und geehrt. Er wurde zum Bürgervorsteher gewählt, als ehrenamtlicher Senator eingesetzt und zum Ehrenbürger erklärt. Das prägnanteste Sinnbild dieser Wertschätzung war ein ihm zu Ehren errichteter (und maßgeblich durch Reichenbach selbst finanzierter) Brunnen. Dieser wurde 1908 zunächst im Herzen der Stadt auf dem Platz Am Sande aufgestellt. 1940 musste er einem Löschteich weichen. In den 1980er Jahren wurde der Brunnen am Nordrand der Innenstadt, passenderweise am Beginn der Reichenbachstraße neu aufgerichtet.
Ein Bildnis des Senators Reichenbach findet sich auf der Mittelsäule als Bronzerelief. Visuell auffälliger ist aber die Figur, die den Brunnen bekrönt: ein stolz und wehrhaft in die Ferne blickender Mann, der in der Rechten ein Schwert hält und um dessen linken Arm einige Fassreifen ruhen, wie sie im Böttcherhandwerk verwendet wurden.
- Den 1908 zu Ehren von Senator Reichenbach errichteten Brunnen bekrönt eine Figur aus Julius Wolffs Roman „Der Sülfmeister“: Böttchermeister Gotthard Henneberg (Foto: privat)
Interessant ist, dass die heroische Brunnenfigur gar keine reale Person darstellt, sondern eine literarische Gestalt. Es handelt sich um den Böttchermeister Gotthard Henneberg, den der Schriftsteller Julius Wolff 1883 als Hauptfigur für seinen großen historischen Lüneburg-Roman „Der Sülfmeister“ ersonnen hat. In der Geschichte, die im 15. Jahrhundert spielt, steigt der rechtschaffene Böttchermeister Henneberg in den Kreis der Lüneburger Sülfmeister auf und wird an die Spitze des Lüneburger Gemeinwesens gerufen, um die Freiheit der Stadt gegen den Herzog zu verteidigen. Es dürfte dem einstigen Böttcher, erfolgreichen Unternehmer und Senator Reichenbach leichtgefallen sein, in dieser Romanfigur einen fiktiven Ahnherrn zu erkennen.
Literaturwissenschaftler reihen Julius Wolff in die etwas abwertende Kategorie der „Butzenscheibendichter“ ein, die historische Stoffe altertümlich und romantisierend ausbreiteten. Man sollte jedoch nicht unterschätzen, dass „Der Sülfmeister“ für Lüneburg über Jahrzehnte das war, was momentan die „Roten Rosen“ sind: Stadtwerbung in unterhaltsamer Form.
Überdies ist Wolffs Roman ausgesprochen detailliert recherchiert. In einer Szene hält Henneberg bei der Morgensprache der Zunft „das Regiment der Böttcher in der Hand, einen starken, über zwei Schuh langen, eichenen Stab, an dessen oberem Ende wie auch über dem Handgriff eine Tonne gebildet war.“ Die akkurate Beschreibung lässt erkennen, dass der Schriftsteller bei seinen Recherchen in Lüneburg auch die Zunftaltertümer im Museum Lüneburg besichtigt hatte. Dorthin nämlich hatte das Böttcheramt 1880 den nicht mehr benötigten Regimentsstab abgegeben.
So verweisen der Brunnen und das Zunftzeichen beide auf die einstige Bedeutung des für Lüneburg bedeutenden Böttcherhandwerks.
(Ulfert Tschirner)
Dr. Ulfert Tschirner ist stellvertretender Museumsleiter und Kurator der kulturgeschichtlichen Sammlungen.
Serie „Museum – drinnen & draußen”, Teil 4
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