„Wier seint itz Sulffmeister!“

„Wier seint itz Sulffmeister!“ Die Buchdruckerfamilie von Stern - Newcomer im Dreißigjährigen Krieg

Die Sülfmeister – eine mittelalterliche Elite in der Stadt

In diesen Tagen ziehen die Sülfmeistertage wieder viel Publikum von nah und fern in die Stadt. Höhepunkt ist der Umzug am Sonntag, das Kopefest, mit dem zur Blütezeit der Stadt im Mittelalter und Früher Neuzeit ein neues Mitglied feierlich in das Kollegium der Sülfmeister aufgenommen wurde – nicht ohne vorher seinen Mut bei den Wettkämpfen unter Beweis zu stellen.

R.1138: Festzug der Kopefahrt (Auszug), kolorierte Lithographie nach einer Kupferstichvorlage, Lithographie: Lüneburg, um 1850; Vorlage: Ende 16. Jh.

Sich Sülfmeister nennen zu dürfen, war damals ein besonderes Privileg, verbanden sich doch damit Besitz und Ansehen und eine besondere Verbindung zur Hansestadt und seiner bis dato wichtigsten Einnahmequelle, der Saline. Die Verfügung über vier der insgesamt über 200 betriebenen Siedepfannen berechtigte den Eigentümer oder Pächter, den Titel Sülfmeister zu tragen. Über Jahrhunderte blieb der Kreis der Sülfmeister auf wenige Familien des städtischen Patriziats in Lüneburg beschränkt. Sie bildeten zugleich auch den Rat der Stadt – wirtschaftliche und politische Elite waren identisch. Man blieb unter sich, heiratete untereinander und schuf in Rathaus und Kirchen mit dem Familienwappen der eigenen Familie eine dauerhafte Präsenz.

Newcomer – gefürchtet, gemieden, geduldet

Portrait des Buchdruckers Johann Stern (1582-1656), Privatbesitz
Der Buchbinder und -händler aus Bevensen Hans Stern und seine Söhne Johann und Heinrich hatten sich den Start in Lüneburg sicher anders vorgestellt. Doch die Newcomer wurden zunächst mit Argwohn beäugt. Die stolze Hansestadt Lüneburg war eine Bürgerstadt, noch immer erinnerte man sich an die Ereignisse des Jahres 1371, als es den Bürgern in einer spektakulären Aktion gelungen war, sich gegen die Truppen des Herzogs Magnus zu behaupten, die mächtige Burg auf dem Kalkberg zu zerstören und den Herzog zu vertreiben. Und nun kam mit den „Sternen“ eine Familie in die Stadt, die engste Verbindungen zum Welfenhaus hielt und unter dem persönlichen Schutz von Herzog August dem Jüngeren stand und von diesem mit Privilegien ausgestattet wurde – Grund genug, erst einmal misstrauisch zu sein. Zwar hatte Hans Stern 1583 das Bürgerrecht in Lüneburg erworben, doch der Aufstieg in den Kreis der Sülfmeister blieb der Familie lange verwehrt. Woran lag das?

Wirtschaftskrise im Dreißigjährigen Krieg

Der einstigen Salzstadt ging es nicht gut in diesen Zeiten. Der Dreißigjährige Krieg und die drohende Besetzung machten dem Rat der Stadt zu schaffen, und mit dem Niedergang des Salzhandels war Lüneburg in eine Wirtschaftskrise, die das Fundament des Wohlstands merklich erschüttert. Die Sülfmeister waren ratlos, etliche von ihnen legen ihren Betrieb still oder verließen gar die Stadt.

Und auch die Politik geriet in eine Krise. Das jahrhundertealte System der engen Verbindung zwischen Wirtschaft und Politik wurde in Frage gestellt, neue Kräfte wollen mitsprechen. Als Lüneburg von den Schweden besetzt wurde, fordert Hans Stern die Übergabe der Stadt an Herzog Georg von Braunschweig-Lüneburg. Dies war die Stunde des Landesherrn: Am 13. Dezember 1636 suspendiert Herzog Georg den alten Rat und setzte Johann Stern als Bürgermeister ein. Seine Amtszeit währte nicht lang, doch in den Augen der Sülfmeister war das ein Verrat an der städtischen Freiheit. Öffentliche Schmähungen waren die Folge, der blinde Zorn verwehrte die Erkenntnis, dass mit dieser Maßnahme die Stadt vor Zerstörung und Plünderung bewahrt worden war.

Mühsamer Aufstieg – am Ende zum Wohle der Stadt

In der wirtschaftlichen Krise gelang es den „Sternen“, eine florierende Druckerei aufzubauen. Sie konzentrieren sich auf den Druck von Bibeln und Erbauungsliteratur, und das war ein kluges Geschäftsmodell, da diese in den Zeiten religiöser Unruhen gefragt waren. Mit großem Variantenreichtum und exzellenter Qualität brachten sie ihre Bibeln in ganz Nordeuropa auf den Markt. 1645 wurden sie nach Fürsprache Herzog Augusts von Kaiser Ferdinand in den erblichen Adelsstand erhoben. Nun strebten sie an, auch in die städtische Elite, das Sülfmeisterkollegium aufgenommen zu werden. Nur mit Hilfe des Herzogs gelang es ihnen, die dafür erforderlichen vier Pfannengüter zu pachten. Als Hans Stern, der eine regelmäßige Korrespondenz mit Herzog August dem Jüngeren in Wolfenbüttel führte, in seinem Brief an den Herzog vom 8. März 1655 stolz schrieb „Wier seint itz Sulffmayster“, ahnte er wohl nicht, dass das Statusgebahren der Sülfmeister auch vor weiteren Schmähungen nicht Halt machen sollte und diese den Erfolg der Stern’schen Druckerei schlichtweg ignorierten.

Die alteingesessenen Sülfmeisterfamilien wehrten sich mit allen juristischen Mittel gegen die Neuen, beriefen sich auf altes Herkommen und ständische Unzulänglichkeit. Die Sterne wiederum nutzten ihre Profession als Buchdrucker, holten Gutachten von Universitäten, um ihrer Herabsetzung entgegenzuwirken. Als gar nichts mehr half, verwehrten die Sülfmeister Heinrich Stern 1657 gar das Aufnahmeritual. Jeder neue Sülfmeister wurde vom Vorstand zuhause abgeholt und musste an Saline, Lambertikirche und Rathaus den Sülfmeistereid sprechen. Heinrich wurde gar nicht erst zuhause abgeholt, und als der Landesherr im folgenden Jahr das Initiationsritual befahl und einen der Sülfmeister als Fürsprecher beauftragte, fand die Aufnahmen mit eisigem Schweigen statt. Und damit nicht genug: In Folge der Aufnahme von Heinrich Stern änderten die Sülfmeister ihre sozialen Ordnungskriterien und unterschieden nun zwischen patrizischen und bürgerlichen Sülfmeistern. Und selbst als Heinrich Stern 1677 starb und der Pfarrer ihn bei der Trauerfeier als „patricius“ bezeichnet, rumort es noch in den Reihen der Sülfmeister. Erst in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts gelang es den Sternen, Posten im Sülfmeisterkollegium zu übernehmen und damit allmählich in die städtische Elite integriert zu werden – und das zu einer Zeit, als die Sülfmeister zu dieser Zeit schon kaum mehr eine Bedeutung im städtischen Gefüge besaßen und die „Salzjunkerherrlichkeit fadenscheinig geworden“ war.

Weißes Gold und Schwarze Kunst

Im Laufe des 17. und 18. Jahrhunderts werden die Stern‘schen Bibeln nach dem Salz der zweite „Exportschlager“ für Lüneburg, und das Unternehmen entwickelt sich zu einer der bedeutendsten Großdruckereien Nordeuropas mit Geschäftskontakten unter anderem nach Amsterdam, Kopenhagen, Stockholm, Danzig, Königsberg, Reval und Breslau. Bis zum letzten Lüneburger Bibeldruck im Jahr 1824 erschienen mehr als 150 unterschiedliche Bibelausgaben, alles in allem mehr als 500.000 einzelne Exemplare. War vormals das Lüneburg Salz in Fässern in den gesamten Hanseraum gehandelt worden, so waren nun die Bibeln aus den Stern’schen Offizin – ebenfalls in Fässern transportiert – ein Handelsobjekt geworden, das die Stadt Lüneburg in ganz Deutschland und Nordeuropa bekannt machte.

Seit über vierhundert Jahren ist die Stern’sche Druckerei im Familienbesitz.

Prof. Dr. Heike Düselder, Direktorin Museum Lüneburg

Zurück zur Übersicht Archäologische Objekte
Zurück zur Übersicht der Sammelgebiete