Westafrikanischer Salzpokal aus einem Raritätenkabinett des 18. Jahrhunderts
Der Celler Hofarzt Johann Daniel Taube (1725–1799) war ein leidenschaftlicher Sammler. Sein Kunst- und Naturalienkabinett umfasste mehr als 10.000 Einzelstücke: Mineralien, Fossilien, Tiere, Pflanzen, aber auch Kunstgegenstände aus verschiedenen Epochen und Kulturkreisen. Dazu zählte auch ein kunstvoll geschnitztes Objekt aus Elfenbein, das Taube in seinem Katalog als „bengalisches Opfer-Becken“ verzeichnete.
Taube verkaufte seine Sammlung 1791 an die Lüneburger Ritterakademie. Nach deren Auflösung wurden die Bestände 1850 in einen naturkundlichen und einen historischen Zweig aufgeteilt. Letztere bildeten später den Grundstock des Museums für das Fürstentum Lüneburg, einem Vorläufer des heutigen Lüneburger Museum.
Die Elfenbeinschnitzerei ist über all diese Zeit erhalten geblieben, geriet aber zwischenzeitlich in Vergessenheit. Für ein Buchprojekt zur Geschichte des Museums ist sie gemeinsam mit vielen anderen Gegenständen kürzlich neu beschrieben und bewertet worden.*)
Wir wissen heute, dass dieses Kunstwerk nicht aus Indien, sondern aus Westafrika stammt und zur Gruppe der „afro-portugiesischen Elfenbeinschnitzereien“ gehört. Darunter versteht man Auftragsarbeiten, die unter dem Einfluss portugiesischer Händler im 15. und 16. Jahrhundert in Sierra Leone und Benin entstanden sind. Beeindruckt von der Qualität der traditionellen Schnitzkunst der Sapi (in Sierra Leone) und der Edo (in Benin) brachten die Portugiesen Vorlagen und Entwürfe für Gebrauchsgegenstände mit, die dann von den Schnitzern mit kunstvollen Dekorationen in ihrer eigenen Bildsprache ausgeführt wurden. Um 1500 kamen die so gefertigten Salzgefäße, Bestecke oder Signalhörner als kostbare Geschenke an den europäischen Höfen in Mode. Manche gelangten in die Kunstkammern der Fürsten und später auch in die Kabinette bürgerlicher Sammler.
Das in Lüneburg erhaltene Fragment mit der Darstellung menschlicher Figuren, Hunden und Schlangen bildet den Untersatz eines Salzpokals, dessen oberer Abschluss (die Schale zur Aufnahme des Salzes) fehlt. Anhand von Vergleichsbeispielen aus New York, London und Ohio lässt sich das Gefäß eindeutig den Sapi aus Sierra Leone zuschreiben und in die Zeit um 1500 datieren. In deren Mythologie spielten Schlangen und Hunde eine besondere Rolle.
Die afro-portugiesische Kunst macht sichtbar, dass der Kontakt zwischen europäischen und afrikanischen Kulturen im vorkolonialen Zeitalter zunächst noch auf Augenhöhe erfolgte. Erst mit dem aufkommenden Kolonialismus begannen sich die Gewichte einseitig zu verschieben.
*) „Das Museum der Lüneburger Ritterakademie. Eine Geschichte des Sammelns um 1800“. Regensburg: Schnell + Steiner 2020 weitere Informationen
(Ulfert Tschirner)
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