Der Geistesblitz von St. Michaelis
Friedrich Havemann war von 1905 bis 1931 als Bauführer im Stadtbauamt beschäftigt. Sein spezielles Interesse galt den Holzkonstruktionen Lüneburger Bauwerke. Im Museum befinden sich seit mehr als 100 Jahren Havemanns detaillierte Modelle der Dachzimmerwerke von St. Johannis, St. Michaelis und dem Rathausturm.
Mehr als dreieinhalb Meter hoch ist das Modell des Johanniskirchturms, das in der Ausstellungsabteilung „gründen & bauen“ emporragt. Kaum weniger imposant ist das Zimmerwerksmodell des Turms von St. Michaelis, das normalerweise im Depot des Museums aufbewahrt wird. Aktuell kommt es in der Ausstellung „Geistesblitz und Sonnenstrahl. Carl Friedrich Gauß und die Königlich Hannoversche Landesvermessung“ besonders zur Geltung.
Selbst alteingesessenen Lüneburger:innen war bisher kaum bekannt, dass der berühmte Mathematiker im Oktober 1818 genau hier, auf dem Turm von St. Michaelis, eine Entdeckung machte, die die Landesvermessung entscheidend verbesserte. Gauß entwickelte damals zusammen mit dem in dänischen Diensten stehenden Astronom Heinrich Christian Schumacher den Plan, die bereits laufende Vermessung im Königreich Dänemark ins Hannoversche fortzusetzen. Beide trafen sich in Lüneburg, um von St. Michaelis aus gemeinsam die Winkel zu den dänischen Vermessungspunkten Lauenburg, Hohenhorn und Hamburg zu messen. Dabei kam es zu einer Störung, die Gauß zunächst behinderte, von ihm später aber zum Prinzip einer entscheidenden Verbesserung des Verfahrens genutzt wurde. Beim Versuch, den Turm der Hamburger Michaeliskirche im Fernrohr des Winkelmessgeräts anzuvisieren, blendete Gauß die Reflektion eines unglücklich zur Sonne ausgerichteten Fensters. In seinem Beobachtungsjournal notierte er: „Hamburg schlecht zu sehen, das westliche, von der Sonne beleuchtete Fenster genirte das Pointiren.“ Beim späteren Durchschauen seines Journals ergänzte er dazu: „Diese Erfahrung ist die erste Veranlassung zu der im Herbst 1820 gemachten Erfindung des Heliotrops gewesen.“ Das von Gauß ersonnene Instrument nutzte reflektiertes Sonnenlicht gezielt als Signalgeber. Dadurch konnten fortan die Winkel auch zwischen wesentlich weiter entfernten Vermessungspunkten sicher bestimmt werden. Diese Erfindung wurde – ausgehend vom Geistesblitz in Lüneburg – später weltweit im Vermessungswesen eingesetzt.
Das Turmmodell von St. Michaelis hat eine Grundfläche von 84,5 x 84,5 cm und ist knapp 2 Meter hoch. Foto: Museum Lüneburg.
Ulfert Tschirner
Zurück zur Übersicht Archäologische Objekte
Zurück zur Übersicht der Sammelgebiete