„Depositio cornuti Typographici“ – Das „Lust- und Freuden-Spiel der Edlen Buchdrucker-Kunst“
Die Druckerzunft ist von jeher ein sehr traditionsbewusster Verband von Handwerkern. Sie pflegen ihre eigene Fachsprache, die Druckersprache, die sich teilweise bis heute erhalten hat. Die Sprache der Buchdrucker, Setzer und Schriftgießer zeichnet sich durch altertümliche, aber auch humorige Ausdrücke und gelehrte Fremdwörter aus. Die „Bleiwüste“ ist bis heute die textlastige, schwer lesbare Zeitungsseite, als „Fisch“ galt ein im falschen Kasten des Setzkastens gelandeter Druckbuchstabe, als „Hurenkind“ die letzte Zeile eines Absatzes, die unschön als erste Zeile in die nächste Seite oder Spalte gerutscht ist. Auffallend häufig treten auch Tiernamen auf: Der „Esel“ bezeichnet ein Gestell zum Tragen des Druckpapiers, und die „Gänsefüßchen“ sind nicht den Druckern und Setzern ein Begriff. Ebenso ungewöhnlich wie die Sprache sind auch die Bräuche und Rituale dieser Zunft. Schon seit den Anfängen des Buchdrucks gibt es den Brauch des Gautschens, das Untertauchen des Lehrlings in einem großen Fass, um ihn vor Hochmut ob der bestandenen Prüfung zu bewahren.
Mit der Stern’schen Druckerei hat die älteste in Familienbesitz befindliche Druckerei Europas ihren Sitz in Lüneburg. Die „Sterne“ haben sich im frühen 17. Jahrhundert vor allem mit dem Druck von Bibeln in ganz Europa einen Namen gemacht. In Lüneburg entstehen Bibeln in vielen Formaten und Preislagen, mal als reich illustrierte Prachtausgabe, mal im günstigen Kleinformat für die Hosentasche.
Aus den Beständen der Stern’schen Druckerei entstammt jenes merkwürdige „Depositionsgerät“, das im Museum Lüneburg in der Abteilung „glauben & wissen“ ausgestellt ist und manchen Besucher ins Rätseln bringt. Die hölzerne Hörnerkappe, Zangen, Sägen und ein hohler Holzschinken dienten einst dazu, mit dem frisch freigesprochenen Druckerlehrling eine humorvolle, ironische, aber auch nicht frei von Ermahnungen praktizierte öffentliche Zeremonie zu veranstalten.
„Bey Annehmung und Bestätigung eines Jungen Gesellen/ der die Edle Kunst der Buchdruckerey redlich hat außgelernet“ hatte, musste dieser in einer grotesken Kostümierung als Gehörnter („Cornutus“) auftreten. Ausgewählte Gesellen reinigten ihn und während sie ihm Untugenden und Unfertigkeiten aufzählten, dienten die Depositionswerkzeuge symbolisch dazu, den rohen, ungehobelten Klotz des Lehrlings zurecht zu sägen, zu behauen und abzuhobeln, ähnlich wie beim Zurichten eines Kantholzes aus einem Rundholzrohling.
Die von den Buchdruckern gepflegte Depositionszeremonie ist von den damaligen studentischen Aufnahmeriten bei Beginn eines Universitätsstudiums abgeleitet. Auch in manchen Sammlungen von Universitäten finden sich Depositionsgeräte aus dem 16. Und 17. Jahrhundert Durch ihre Lese- und Schreibkundigkeit sahen sich die Buchdrucker näher an akademischen Sphären und entwickelten daraus einen eigenen Berufs- und Standesstolz.
Die Buchdruckerspiele waren im 17. Jahrhundert eine Literaturgattung der ganz eigenen Art. Der Dichter und Pfarrer Johann Rist schrieb dazu 1655 für die Stern‘sche Druckerei ein Lustspiel. Es richtete sich an die „Ehrenveste, Kunst-Erfahrne und Wohlbenambte Drucker-Verwandte, Der fürtrefflichen und Welt-berühmten Herren Sternischen Buchdruckerey, in der Hochlöblichen Stadt Lüneburg ...“ Zu den Personen des Lustspiels zählten „I. Monsieur Sausewind, II. Der Vorredner, III. der Herr Depositor, IV. Sein Knecht, V. Der Cornut- oder Hornträger, VI. Die Zeugen, VII. Der Lehrmeister, VIII. Der Nachredner.“ Das Lustspiel ist eine derbe Komödie, die das Ritual, das der gehörnte Lehrling über sich übergehen lassen muss, in allen Einzelheiten beschreibt. Die Depositionswerkzeuge aus der Stern’schen Druckerei sind somit einzigartige Zeugen eines Rituals aus jenen Zeiten, in denen die „edle Buchdrucker-Kunst“ mit symbolischen Handlungen öffentlichkeitswirksam ihren Stand behauptete.
(Heike Düselder)
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