Kampfansage an die Läuse oder Frisierbesteck? Ein mittelalterlicher Knochenkamm
Archäologische Ausgrabungen in den Räumlichkeiten der Industrie- und Handelskammer Lüneburg-Wolfsburg förderten zahlreiche spannende Fundstücke aus der mittelalterlichen Vergangenheit Lüneburgs zutage. Neben alltäglichen Objekten wie etwa Gebrauchsgeschirr oder Schlachtabfällen konnte als besonderes Fundstück ein aus Knochen gefertigter Kamm geborgen werden. Es handelt sich um einen Langzinkenkamm, der aus dem Mittelfußknochen eines Rindes hergestellt worden ist. Der rund 14 cm lange und 3 cm breite Kamm ist von langrechteckiger Form und besitzt überwiegend eine sorgfältig geglättete Oberfläche. Lediglich im oberen Griffbereich des Knochenstücks ist die als Spongiosa (von lat. spongia "Schwamm") bezeichnete, innere Knochensubstanz sichtbar. Die spitzen Zinken des Kamms – insgesamt waren es ehemals 13 Stück – sind ganz zum Schluss mithilfe einer Säge in das Werkstück gesägt worden.
Dieser Kamm wurde vermutlich in einer Tasche oder einem Kammfutteral aufbewahrt, da bei dem neuen Lüneburger Fund das Loch fehlt, das bei ähnlichen Fundstücken oft zum Durchziehen eines Lederbändchens im oberen Griffbereich hineingebohrt wurde.
Langzinkenkämme sind seit dem 11. Jh. in zahlreichen mittelalterlichen Städten belegt und mindestens bis ins 14. Jh. archäologisch gut vertreten. Das Lüneburger Fundstück dürfte in diesem Zusammenhang aufgrund seiner Fundlage aus dem 14. Jh. stammen.
Mögliche Verwendungszwecke des mittelalterlichen Kamms
Abschließend bleibt noch die Frage nach der ehemaligen Nutzung des mittelalterlichen Knochengeräts. Für vergleichbare Stücke wurden in der archäologischen Forschung bereits unterschiedlichste Verwendungszwecke diskutiert. Die naheliegendste Nutzung eines Kamms zum Durchkämmen und Frisieren des Haars ist durch zeitgenössische Abbildungen sicher nachgewiesen. In den Darstellungen werden jedoch regelhaft doppelseitige Kämme gezeigt, die sowohl über breite als auch über schmale Zinken verfügen. Diese auch in Lüneburg archäologisch belegte Kammform eignet sich tatsächlich deutlich besser zum Kämmen von menschlichen Haaren. So könnten Langzinkenkämme neben einer Funktion als Steckkamm für bestimmte Frisuren auch als Läuse- oder Nissenkamm, als Webkamm sowie als Hilfsmittel bei der Flachsverarbeitung gedient haben.
Obwohl wir niemals mit Sicherheit erfahren werden, wozu der vorgestellte Kamm nun schlussendlich gedient haben mag, ist die stadtarchäologische Sammlung des Museums Lüneburg in jedem Fall um ein interessantes Stück mittelalterlicher Alltagsgeschichte reicher.
Tobias Schoo, Stadtarchäologe und Kurator Archäologie im Museum Lüneburg
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