Gürtelschnalle von einem mittelalterlichen Dorffriedhof bei Lüneburg
Museum – drinnen & draußen, Teil 9
Beschäftigt man sich mit den auf dem Gebiet der Stadt Lüneburg bis dato bekannt gewordenen mittelalterlichen Siedlungs- und Bestattungsplätzen, fällt der Blick automatisch auf den Fundplatz einer Körperbestattung bei Rettmer, den man in der Vergangenheit zuweilen auch als „wendisch“ bzw. slawisch eingestuft hatte. Eine Überprüfung der erhaltenen Aufzeichnungen und einer dort ergrabenen Gürtelschnalle zeigte jedoch, dass diese Zuweisung vor dem Hintergrund der Besiedlungsgeschichte der Region zumindest zu hinterfragen war: Die Lage des Fundplatzes befindet sich zu weit westlich des ehemaligen slawischen Siedlungsgebietes in Nordostniedersachsen.
Der hier in Rede stehende Fundplatz liegt nach dem Bericht des Ausgräbers Franz Krüger in der Heide neben der alten Ziegelei Rettmer, inmitten einer Grabhügelgruppe, die in der Vergangenheit bereits mehrfach, auch schon im 18. Jahrhundert, Schauplatz von Ausgrabungen geworden war.
Während die übrigen Grabhügel, soweit ihr Erhaltungszustand dies zuließ, in die ausgehende Steinzeit und die mittlere Bronzezeit datiert werden konnten, sind einige spätere, sog. Nachbestattungen auch jüngeren Datums.
Aus dem Rahmen fiel jedoch eine Körperbestattung aus dem Hügel Nr. 3, die die hier vorgestellte Gürtelschnalle enthielt.
Der Lüneburger Architekt und Archäologe Franz Krüger beschrieb den Grabungsbefund wie folgt: „Dieser Hügel III hatte 8 m Durchmesser. … Südlich vom Hügelmittelpunkt lag dicht unter der Heide eine größere Pflasterung, aus einer Lage Feldsteine bestehend. … Senkrecht auf die nordwestliche Kante des Pflasters stoßend, lag in einer mittleren Tiefe frei im Boden das Skelett … In der Hüftgegend lagen zwei bronzene Schnallen.”
Krüger deutet den Befund so, „daß die Leiche in jüngerer Zeit beerdigt wurde, und zwar in einem Hügel, der eine Brandbestattung barg.”
Leider fiel die kleinere der beiden Schnallen den Wirren des Zweiten Weltkrieges zum Opfer.
Die Schnallen wurden von Krüger bereits unmittelbar nach der Freilegung analog zu ähnlichen Funden aus Nordostniedersachsen als slawisch angesprochen; tatsächlich jedoch folgten sie der allgemeinen europäischen Mode des 13. Jahrhunderts.
Offensichtlich wurde der Tote aus Rettmer ganz bewusst auf einem vorgeschichtlichen Grabhügel nachbestattet. Damit reiht sich diese Bestattung in eine ganze Reihe weiterer ein, die ganz offensichtlich das bereits zu Zeiten Karls des Großen 782 erlassene Verbot, an bzw. auf heidnischen Grabhügeln zu bestatten, ignorieren.
Es erscheint daher naheliegend, dass es sich hier um den Rest eines außerkirchlichen Bestattungsplatzes handelte, bei dessen Auflassung die 1288 gegründete Katharinenkirche im benachbarten Embsen (zu deren Kirchspiel Rettmer heute noch gehört) eine nicht unwichtige Rolle gespielt haben dürfte. Die Gründung der Kirche in Embsen erfolgte durch die Familie von Estorff, die etwa zeitgleich (1282) ihr Patronat über eine Kapelle in Bardowick, wo sie seit 1162 nachweisbar ist, abgab.
Ist der Zusammenhang zwischen der Aufgabe des Friedhofes bei Rettmer und der Embsener Kirchengründung richtig, stellt auch die späte Datierung der Schnalle aus Rettmer eine weitere Stütze für den späten Beginn des Niederkirchenwesens in Nordostniedersachsen dar. Dieser lag im Wesentlichen in Händen des Landadels. Die Bedeutung der Schnalle aus Rettmer liegt somit in der Tatsache begründet, dass sie einer der letzten Überreste mittelalterlicher Bestattungsplätze im Gebiet der heutigen Stadt Lüneburg innerhalb der Lüneburger Museumssammlung darstellt. Ferner belegt sie eindrucksvoll, dass die nichtkirchlichen Bestattungsplätze offenbar noch weitaus länger belegt werden mussten als bisher angenommen – es fehlte eben oft genug schlicht noch die Kirche im Dorf!
(Dietmar Gehrke)
Dietmar Gehrke ist Kurator für ur- und frühgeschichtliche Archäologie und Kreisarchäologe.
Serie „Museum – drinnen & draußen”, Teil 10
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