Dramatische Reise von Lüneburg nach Rom
Pilger-Exponate, Teil 3
Rom versteht sich im Mittelalter als das Haupt der christlichen Welt. Pilger suchen dort die Gräber der Apostel Petrus und Paulus auf, berühmte Reliquien locken zahllose Gläubige in die Kirchen der Stadt. Romreisen haben aber oft auch weltliche Gründe, denn als Sitz des Papsttums ist Rom auch ein Zentrum politischer Macht. Bittsteller aus der gesamten christlichen Welt versuchen, dort ihre Interessen durchzusetzen. Die Lüneburger Ausstellung zeigt ein ungewöhnlich gut dokumentiertes Beispiel für eine solche Reise aus Norddeutschland nach Rom.
Am 17. November 1453 kamen im Lüneburger Rathaus die vier amtierenden Bürgermeister und etliche Ratsleute zusammen, um einen der ihren nach Rom zu entsenden. Der Rat war in einer verzwickten Lage: Um die gewaltige Schuldenlast der Stadt abzutragen, hatte man den Eigentümern der Lüneburger Siedepfannen einen Teil der Erträge vorenthalten. Darunter waren viele kirchliche Einrichtungen, die sogenannten Sülzprälaten. Diese hatten bei der päpstlichen Kurie Klage erhoben und bewirkt, dass über den Rat der päpstliche Bann verhängt werden sollte, sofern die einbehaltenen Gelder nicht umgehend zurückerstattet würden. Die sorgfältig geschriebene und mit dem Stadtsiegel autorisierte Urkunde bestimmte den rechtskundigen Bürgermeister Albert van der Molen als offiziellen Vertreter Lüneburgs, um in Rom die Rechtsposition der Stadt Lüneburg darzulegen.
Schon am folgenden Tag brach er mit kleinem Gefolge auf. Der Zeitdruck war so groß, dass der Weg über die Alpen trotz der bevorstehenden Winterkälte nicht gescheut wurde. Auf Pferden kam man schnell voran und erreichte Anfang des neuen Jahres Padua. Der Ort war ein wichtiges Etappenziel. Dort holte man Gutachten der berühmten juristischen Fakultät ein, die die Rechtsauffassung der Stadt unterstützten. Die Lüneburger warteten fünf Wochen auf die Expertise der Juristen, die sich diese gut bezahlen ließen. Unmittelbar nach Erhalt des letzten Gutachtens ging es am 16. Februar weiter in Richtung Rom, das die Gruppe am 3. März 1454 erreichte.
In der Ewigen Stadt dauerte es jedoch mehr als vier Monate, bis van der Molen endlich sein Anliegen vorbringen durfte. Die Ausstellung zeigt ein Rechnungsbuch, das alle Ausgaben für die Lebenshaltung in Rom akribisch auflistet, bis hin zu den Kosten für einen Nachttopf („enen pisserpud“) oder das Bartscheren.
Etliche Ausgaben entfielen auf Bittschriften, Kopien, Briefboten und Advokaten. Angesichts der erwarteten Audienz beim Papst stattete sich Albert van der Molen mit kostbarer neuer Kleidung aus. Ein Kardinal, der den Lüneburgern wohl den Zugang zum Papst ermöglichen sollte, erhielt als kostbares Geschenk scharlachrotes Sattelzeug. Aber auch Kosten abseits der diplomatischen Mission sind vermerkt, etwa für einen gedruckten Reiseführer durch Rom oder für Heiligenbildnisse. Auch Besuche der wichtigen Pilgerkirchen und die dort obligatorischen Opfergaben sind vermerkt.
Die lang ersehnte Vorsprache endete schließlich in einem Fiasko. Papst Nikolaus V. erteilte dem Lüneburger Bürgermeister eine schroffe Abfuhr. Erst nach einer Auszahlung der offenen Salinenerträge könne der Fall neu betrachtet werden. So blieb van der Molen nichts anderes übrig, als die Autorität des Papstes selbst in Zweifel zu ziehen und an die Entscheidung durch ein zukünftiges Kirchenkonzil zu appellieren.
Mit leeren Händen trat er am 22. Juli die Rückreise an. Über Florenz, Bologna, Mailand und Como ritt die Gruppe über den Gotthard-Pass in hohem Tempo zurück. Ab Zürich reiste man per Schiff weiter und den Rhein hinab bis in die Niederlande. Über Emden, Oldenburg und Bremen erreichte man am 15. September 1454 wieder Lüneburg.
Beide Konfliktparteien hatten gespannt auf van der Molens Heimkehr gewartet. Nun begannen die Gegner des Lüneburger Rats damit, den päpstlichen Bann durchzusetzen. Die Bürger wurden unruhig und fast genau ein Jahr nach dem Beginn der Romreise wurde der Stadtrat abgesetzt. Die bisherigen Bürgermeister und Ratsherren wurden persönlich in Haftung genommen und unter Hausarrest gestellt. Ein Amtskollege van der Molens, der Bürgermeister Johann Springintgut, widersetze sich den Anordnungen des neuen Rats. Er wurde in einem Turmverlies festgesetzt und verstarb dort nach mehrwöchiger Haft.
Das kleine Tafelbild zeigt Johann Springintgut im Moment seines Ablebens. Er ist in ein weißes Tuch gehüllt und leichenblass. Hinter ihm kniet ein enger Vertrauter. Ein ungewöhnliches Detail ist das kleine nackte Menschlein, das vor dem Sterbenden emporschwebt. Es symbolisiert die entweichende Seele. Diese Darstellung kann auch als eine Spitze gegen Papst und Kurie verstanden werden. Weil Springintgut bei seinem Tod unter dem Bann stand, war seine Seele eigentlich der Verdammnis preisgegeben. Vielleicht soll die aufsteigende Seele deutlich machen, dass der päpstliche Richtspruch nicht nur unrechtmäßig, sondern offensichtlich auch unwirksam war.
Rückblickend wurde der Tod des Bürgermeisters Springintgut in Kerkerhaft zu einem Wendepunkt des „Lüneburger Prälatenkriegs“. Am 9. November 1456 wurde der alte Stadtrat um Albert van der Molen wieder in sein Amt eingesetzt.
(Ulfert Tschirner)
Serie „Pilger-Exponate”, Teil 4
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