„Als hätte man gifft eingerieben.“ – Ärzte im Kampf gegen Epidemien
Serie: Pest und Cholera, Teil 6
Im Jahre 1598 ließ der Rat der Stadt Lüneburg die Ratsapotheke in der Großen Bäckerstraße neu errichten. Er beauftragte den Künstler Daniel Frese, die Decke im großen Saal des Obergeschosses zu bemalen. In Schrifttafeln, die von Ornamenten wie Fruchtbündel mit Äpfeln und Birnen, Baldachinen und Masken umgeben sind, lesen wir die Namen, Lebensdaten und Beruf von zehn Gelehrten. Sie sind die bedeutendsten Ärzte, Naturwissenschaftler und Philosophen des 16. Jahrhunderts. Im Museum Lüneburg wird ein Teil dieser Decke, den der verstorbene Ratsapotheker Gerd Wellsow dem Museum übergab, ausgestellt. Die Namen und Lebensdaten zweier Wissenschaftler, die gegen die Pest kämpften und gleichzeitig Opfer dieser Epidemie wurden, sind dort zu lesen.
- Teile der bemalten Decke aus der Alten Ratsapotheke, ausgestellt in der Abteilung „glauben & wissen“ im Museum Lüneburg (Foto: Museum Lüneburg)
In den letzten Jahrtausenden wurde die Menschheit immer wieder von Seuchen befallen, die sich weit ausbreiteten und viele Opfer forderten. Sie wurden häufig als „Pest“ bezeichnet, auch wenn man heute weiß, dass nicht immer der eigentliche Pest-Erreger, das Bakterium Yersinia pestis, dafür verantwortlich war. Für diese echten, großen und kleineren Pestepidemien sind tatsächlich Nagetiere und dort hauptsächlich Ratten mitverantwortlich. Sowohl die etwas dunklere Hausratte als auch die etwas größere Wanderratte sind als Kulturfolger an das Leben nahe den Menschen seit Jahrhunderten angepasst. Die Wanderratte erreichte Europa aber mutmaßlich erst Mitte des 18. Jahrhunderts und kommt daher als Verursacherin erst für spätere Pestausbrüche in Frage. Die Hausratte und zu einem kleinen Teil auch die Hausmaus stehen dagegen schon länger als Überträger im Fokus bei Pestausbrüchen.
Skulptur vom Epitaph des Stadtphysikus Tobias Dornkrell
(Foto: Ina Birkenbeul, HAWK)
Der Mediziner und Humanist Johannes Winter bekämpfte als Pestarzt die Epidemie, als diese 1565 in Zürich ausbrach. Seiner Frau konnte er jedoch nicht helfen, sie starb im selben Jahr an der Krankheit. 1542 erschien sein erstes Buch über die Pest. 1541 und 1563 suchten zwei schwere Pestepidemien Straßburg heim, bei denen er bereits als Pestarzt wirkte und darüber publizierte. Der zweite Arzt ist der Mediziner, Philologe und Polyhistoriker Conrad Gessner, der mehrere Werke über die Pest verfasste. Er pflegte, während 1565 in der Stadt Zürich die Pest wütete, den Reformator Heinrich Bullinger, der an die Epidemie seine Ehefrau und drei Töchter verloren hatte. Conrad Gesner erlag ebenfalls der Pest des Jahres 1565.
Auf dem noch in der Ratsapotheke verbauten Teil der Decke wird der Mediziner und Humanist Johannes Crato von Craftheim genannt. 1553 verfasste er für die Stadt Breslau eine „Pestordnung". Große Verdienste erwarb sich Crato während der Pestepidemie von 1554. Als einer der ersten erkannte er den ansteckenden Charakter der Pest. Trotz Alter und Krankheit wirkte er in Breslau weiterhin als Pestarzt für die Allgemeinheit, musste jedoch erleben, dass seine eigene Frau an der Seuche starb. Er selbst folgte ihr am 19. Oktober 1585.
Dieses tragische Schicksal ereilte auch Lüneburger Ärzte. Am 29. Oktober 1602 wurde Dr. Tobias Dornkrell, der aus Iglau in Mähren stammte und Medizin in Helmstedt studierte, als Arzt vom Lüneburger Rat vereidigt. Die Jahre 1604 – 1606 waren Pestjahre in der Stadt. Dornkrell schrieb, dass sie „gleichweis als hätte man gifft eingerieben, elend zu dem Hertzen tritt und plötzlich die Leute umreusset“. Er nennt als Ursache der Pest „verwesende Lufft“ und „böser Dunst des Erdtreichs“. 1605 starb er 32-jährig an der Pest und wurde in St. Michaelis bestattet. Auch der Stadtphysikus Dr. Mathaeus Backmeister, der gegen die Seuche ankämpfte, starb im Pestjahr 1626 an einem hitzigen Fieber.
Der Tod der Pestärzte erinnert sehr an das Schicksal zweier Ärzte, die in jüngster Zeit beim Kampf gegen Epidemien ihr Leben verloren. Der italienische Arzt Dr. Carlo Urbani klassifizierte 2003 in Vietnam als erster die neue, auf Coronaviren zurückgehende Atemwegserkrankung SARS. Durch sein beherztes Eingreifen konnte die Seuche eingedämmt werden, doch er erlag der Krankheit. Ende Dezember 2019 untersuchte der 33-jährige Arzt Li Wenliang im chinesischen Wuhan sieben Patienten mit einer unbekannten Lungenkrankheit. Ausgerechnet einer der Ärzte, die das Coronavirus entdeckten, starb selbst an der Infektion.
(Prof. Dr. Edgar Ring)
Serie „Pest und Cholera”, Teil 7
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