Das weiße Gold der Lüneburger Heide – ein Ausflug in die Welt der Kleinstlebewesen

Sie leben unsichtbar in den Gewässern unserer Welt, sitzen an Bachkieseln und Wasserpflanzen und stellen einen großen Teil des pflanzlichen Planktons in den Ozeanen: Kieselalgen oder auch Diatomeen. Ihren deutschen Namen verdanken die Kieselalgen ihrer Zellhülle, die überwiegend aus Siliziumdioxid besteht, einem Bestandteil der Kieselsäure.

Unter idealen Bedingungen können in einem Monat aus einer Kieselalge durch Zellteilung eine Milliarde neue Diatomeen entstehen. Nach dem Absterben sinken sie zu Boden und bilden allmählich dicke Ablagerungen. In ca. 100 Jahren entsteht so eine 1 cm dicke Schicht. Diese Ablagerungen wurden weltweit das erste Mal in den 1830er Jahren in Unterlüß in der Lüneburger Heide entdeckt. Sie stammen aus Süßwasserseen vergangener Warmzeiten und bilden ein sehr lockeres Sedimentgestein, die Kieselgur. In der Lüneburger Heide waren diese Schichten bis zu 28 Meter mächtig.

Schwarzerle in Kieselgur
Blatt einer Schwarzerle in Kieselgur, das vor etwa 120.000 Jahren in der Eem-Warmzeit abgelagert wurde. Fundort bei Steinbeck an der Luhe (Foto: Museum Lüneburg)

Die verschiedenen Lagerstätten der Lüneburger Heide deckten bis zum Ersten Weltkrieg fast den gesamten Weltbedarf an Kieselgur. Mit ihren chemischen und physikalischen Eigenschaften ist Kieselgur ein vielseitiger Rohstoff, der gut industriell verwertet werden konnte. Bekannt wurde vor allem ihre Verwendung in Dynamit durch Alfred Nobel und als Filter von Wilhelm Berkelfeld. Noch heute wird Kieselgur in verschiedensten Produkten genutzt, allerdings nicht mehr aus der Lüneburger Heide: Der Abbau wurde 1994 eingestellt. Auch wenn jährliche Spitzenfördermengen nie an die Zahlen des Steinkohleabbaus anderer Gegenden heranreichten, war die Kieselgur für die strukturschwache Region so wichtig, dass sie von der Heimatpresse als „weißes Gold“ bezeichnet wurde.

Salonpräparat: Diatomeen
Salonpräparat von Johann Diedrich Möller. Jede Form stellt eine einzelne Diatomee dar (Foto: Matthias Burba)

Für Forschung und Gesellschaft waren die Kleinstlebewesen ebenfalls bedeutend: In der fossilen Kieselgur blieb die organische Substanz von Blättern und Tieren erhalten, die vor einigen hunderttausend Jahren in den See gefallen waren. Sie verraten viel über die Lebenswelt ihrer Warmzeit. Viele Arten haben sich trotz Unterbrechung durch eine oder zwei Eiszeiten kaum verändert, wie dieses Blatt der Schwarzerle zeigt. Und in den bürgerlichen Salons des 19. Jahrhunderts war es üblich, mit Mikroskopen in eine bis dahin unbekannte Welt einzutauchen. Einige Hersteller dieser mikroskopischen Salonpräparate nutzen die Schönheit der Kieselalgen und legten sie zu prächtigen Mustern. Damals wie heute entfalten sie ihre Faszination auf den Betrachter und entführen ihn in eine Welt der Kleinstlebewesen und Nanostrukturen.

(Christina Broesike)

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